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14.07.2020
Geplant war ein einmaliges Festprogramm zu einem einmaligen Ereignis. 100 Jahre Salzburger Festspiele – diese Feier wollte man begehen, wie es der pittoresken Barock- und Kulturstadt Salzburg wohlansteht.
Einmal mehr Salzburg wäre eine einmalige Weltbühne für Künstler, Besucher, Einheimische und Kulturliebhaber gewesen (für Adabeis, C-Promis und Tagesausflügler sowieso), aber die herrschende Pandemie hat 2020 das Kulturleben überall auf der Welt ausgebremst. „Ausgesandt nach mir?“ Der bekannte Ausruf des „Jedermann“, als er erkennt, dass der Tod quasi hinter ihm steht, um ihn zu holen – bekommt in Zeiten von Corona eine neue Bedeutung, könnte man meinen.
Die Salzburger Festspiele haben seit März 2020 hoch gepokert und wie es scheint damit gewonnen: Die Jubiläumsfestspiele (die ich persönlich bereits herbeigesehnt habe wie einen Lottogewinn) finden statt. Aber anders als geplant. Kleiner. Kontrollierter. Mit Sicherheitskonzept. Mit 1180 Plätzen am Domplatz beim „Jedermann“ anstatt 2400.
Domplatz Jedermann (© SF/Neumayr/Leo)
Damals vor 100 Jahren – beim allerersten „Jedermann“ am Salzburger Domplatz am 22. 8. 1920 – befand sich Österreich in einer quälenden Hungersnot, so kurz nach dem Krieg. Aber Max Reinhardt war dennoch davon überzeugt, dass Kunst und Kultur zu jeder Zeit für uns Menschen genau so wichtig sind wie ein Bissen Brot. Er will Oper und Schauspiel und von beidem das beste, was es 1920 gibt – er will das ultimative Ensemble, den besten „Jedermann“ jener Zeit Alexander Moissi, Volksnähe und den Domplatz - trotz aller Nachkriegssorgen.
Die Jubiläumsfestspiele 2020 lassen den Gründungsgedanken von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss aktueller denn je erscheinen: Die Kunst als Lebensmittel und Lebenssinn in Zeiten von Corona. Mit Präventionskonzept, Expertenbeirat und Sicherheitsvorkehrungen mit genereller Maskenpflicht. Ohne Bewirtung, dafür mit mehr Abstand. Am Jubiläumstag der ersten Aufführung des „Jedermann“ vor 100 Jahren unter Max Reinhardt wird mit einer Lesung der Jedermann Darsteller Klaus Maria Brandauer, Peter Simonischek, Tobias Moretti, Cornelius Obonya und Philipp Hochmair in der ganzen Stadt gefeiert: Ein Who is Who der besten deutschsprachigen männlichen Schauspieler, die diese Rolle in den letzten Jahrzehnten innehatten – eine Auszeichnung fast so wichtig wie der Iffland Ring für den besten lebenden Schauspieler deutscher Zunge.
Masken vor dem Festspielhaus (© Luigi Caputo)
Am 22. August 1920 ging es im Nachkriegs-Salzburg nicht so hoch her. Noch im Juli hatten die Gastwirte über zu wenig Umsatz und Besucher geklagt (Was für eine Parallele!), jetzt im August war kein Mauseloch mehr frei, wenn man den damaligen Berichten der lokalen Zeitungen glauben darf. Mit dem Segen des Erzbischofs hatte Max Reinhardt seinen „Jedermann“, den er schon erfolgreich in ganz Europa inszeniert hatte und zwar bereits damals an den ungewöhnlichsten Locations - nach Salzburg direkt auf den Domplatz gebracht: Mit kleinen Fischen gab sich der weltberühmte Regisseur und Theatermann nämlich niemals zufrieden – seine Feste, Empfänge und das Wandertheater in seinem üppig ausstaffierten Schloss Leopoldskron zeugen davon genau so wie seine Inszenierungen in Salzburg Stadt.
Schloss Leopolskron und die Festung Hohensalzburg
Wie kann man sich die erste „Jedermann“ Aufführung am Domplatz 1920 vorstellen? Das Wichtigste zuerst – damals wie heute: Das Wetter.
„Nach einem trüben Tage überwölbte ein klare Himmel die Stadt“ – so schreibt die „Neue Freie Presse“ über den Premierenfrühabend. Die Sonderberichterstatter der „Neuen Freien Presse“ und des „Neuen Wiener Tagblatts“ zeigen sich wortreich beeindruckt von der Location, dem Reinhardt Ensemble, dem Spiel. Kirchenglocken, Jedermann-Rufe und die Tauben, die im richtigen Moment auffliegen – alles scheint perfekt inszeniert zu sein – bei Reinhardt gibt es keine Zufälle. Aber vor dem Theater vor einem Dom, davor hatte man als Zuschauer dennoch einen Heidenrespekt, scheint´s. Nur gut, dass der Erzbischof bei der Premiere ebenfalls vorort war und das sogar ob der Darbietung hochbewegt – dem Vernehmen nach.
So kabelt die „Neue Freie Presse“ nach der Premiere 1920 im Nachttelegramm nach Wien: „Ein erlesenes Publikum folgte ergriffen dem Bühnenvorgang, unterdrückte jedoch mit Rücksicht auf die fast gottesdienstliche Stimmung, die über der Inszenierung schwebte und sich den Zuschauern mitteilte, den am Schluss aufquellenden Beifall. Reinhardt, der kaum jemals einen größeren Erfolg zu verzeichnen hatte, wurde gepriesen, aber nicht gerufen.“
Und auch das „Neue Wiener Tagblatt“ weiß am 23.8. dann in der Tagesausgabe zu berichten: „Die Weihe des Ortes verbot profanen Applaus. Voll des Geschauten und Gehörten verließ das Publikum in tiefer Ergriffenheit langsam und still den Domplatz, über den sich alsbald die Schatten des Abends herabsenkten!“
Salzburg vom Mönchsberg
In den 1930er Jahren wird die Stimmung trotz des weihevollen Ortes kurzzeitig gelöster und durchaus profaner: Während im nahen München die politische Stimmung bereits eine ganz andere ist, kann man in Salzburg etwa die Sommerfestspiele 1933 (noch) und das Flair mit den vielen anwesenden Künstlern noch genießen. Sogar Stefan Zweig steigt ausnahmsweise vom Kapuzinerberg herab, um sich zum Künstlertee zu Frida Richard (sie gibt bis 1937 die Mutter des „Jedermann“ und noch einmal 1946) zu begeben (Einladungen bei Reinhardt in Leopoldskron meidet er aber wie die Pest) – freilich: Auch seine Bücher sind bei den Bücherverbrennungen in Deutschland zwei Monate vorher bereits „den Flammen übergeben worden“ – ein Jahr später wird er bereits nach England emigriert sein. Die Ruhe vor dem unfassbaren Sturm.
Stefan Zweig wohnte im Schlösschen am Kapuzinerberg
1937 – noch einmal ein Aufflackern der Hochkultur – noch dirigieren Toscanini, Bruno Walter und inszeniert Max Reinhardt – aber der Name des Kultregisseurs wird von den letzten Plakaten bereits gestrichen – ein Jahr später nach dem Einmarsch Hitlers sind die meisten dieser Jahrhundert Künstler bereits im Exil, auf der Flucht und untergetaucht, neue Namen finden sich auf den Theaterzetteln: Nicht wenige davon sind bis heute weltberühmt und müssen sich ab 1946 mehr oder weniger strengen Entnazifizierungs Verfahren stellen. Den amerikanischen Besatzungsmächten ist nach dem Zweiten Weltkrieg wichtig, dass Österreich schnell wieder zu seiner (kulturellen) Identität zurückfindet, dabei sollen die Salzburger Festspiele helfen. Als U.S. Beauftragter für Theater und Musik und damit auch die Festspiele kehrt Ernst Lothar nach Salzburg – vor dem Krieg hochbegehrter Regisseur am Burgtheater und Direktor des Theaters in der Josefstadt – teils sogar gemeinsam mit Max Reinhardt. Er wird im Sinne Reinhardts die „Jedermann“ Inszenierungen der 1950er Jahre betreuen – eine Gratwanderung als österreichischer jüdischer Kulturschaffender, Vertriebener und amerikanischer Offizier.
Festspielhäuser am Max Reinhardt Platz
Dass in Salzburg Bühne und Alltag, Schauspiel und Realität im Sommer so herrlich miteinander verschmelzen und jeder sich als Teil des großen Welttheaters fühlen kann, das war wohl immer schon so. Der erste „Jedermann“ Alexander Moissi sitzt bei seinem Auftritt unerkannt im Publikum, Paula Wessely (erst „Gretchen“, dann als „Glaube“ bei den Festspielen) radelt durch Salzburg und fährt später dann im Cabrio an der Seite ihres persönlichen „Jedermann“ Attila Hörbiger, im Goldenen Hirschen feiern Schauspieler in den 1960ern nächtelang, heute sitzen Künstler Seite an Seite mit uns Theatergästen beim Krimpelstätter oder stechen das Premieren-Bierfass beim Stiegl an. Beim Frühstück sitzt man nicht selten im Café Bazar gleich neben Peter Lohmeyer, der abends dann als Tod verkleidet quer durch die Stadt zum Domplatz schlurft. Gregor Bloeb nach absolvierter Teufel-Rolle kurvt schon mal im Campingbus über den Kajetanerplatz und nach der Aufführung radelt die halbe Jedermann Belegschaft durch die Stadt – die Stadt Salzburg ist dafür die schönste Bühne, die man sich vorstellen kann.
Salzburg vom Radweg
Als Theaterbesucher fühlt man sich hier den ganzen Tag wie mitten in einer Vorstellung begriffen, auch wenn der „Jedermann“ offiziell erst um 17 Uhr startet – nicht selten ein „Bikram-Jedermann“, weil die nachmittägliche Hitze am Domplatz die Schauspieler oft bis an ihre körperlichen Grenzen bringt. Das wird heuer bei den Jubiläums-Spielen nicht anders sein. Wie alle Jahre zuvor wird auch diesmal wieder das Kleid (oder etwa wieder ein gewagter Hosenanzug wie im letzten Jahr?) der neuen Buhlschaft Caroline Peters Diskussionsthema sein und nach der Premiere wird „Jedermann“ Tobias Moretti medienwirksam ein Fass Bier anstechen.
Und die heurige Corona - Maskenpflicht für die Zuschauer, die werden wir überstehen. Wie überhaupt die ganze Angelegenheit heuer eine „Achterbahn der Gefühle“ für alle Beteiligten birgt, wie es der kaufmännische Direktor formuliert.
Doch das wird auch 1920 bei Max Reinhardt und seinem Ensemble bei den allerersten Salzburger Festspielen nicht anders gewesen sein.
Die Salzburger Festspiele 2020 sind mit immerhin 110 Aufführungen mit Oper, Schauspiel und Konzert sowie Lesungen in 30 Tagen im August an 8 statt 16 Spielstätten immer noch mehr als stattlich – aber der Zeitrahmen für die Jubiläums-Festivitäten wurde ausgedehnt: Das Jubiläumsprogramm endet erst am 31. August 2021. Und das wiederum freut mich fast so sehr wie ein Lottogewinn.
Bilder im Artikel: © Angelika Mandler-Saul
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